Interview mit Dr. med. Rolf Lamberts, Chefarzt Sektion Intensiv- und Notfallmedizin
Mit menschlicher Expertise und modernster Technik für Patienten im Einsatz
Monitore, Kabel, Schläuche und Pflegekräfte in voller Schutzmontur: Bei dem Gedanken an Intensivmedizin bekommen viele Menschen ein beklemmendes Gefühl. Bedeutet eine Behandlung auf der Intensivstation direkt, dass der Patient sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet?
„Gerade bei älteren Patienten ist die Sorge vor einer unter Umständen nötigen Versorgung auf der Intensivstation groß. Auch Angehörige sind häufig verunsichert, wenn ein Familienmitglied intensivmedizinisch behandelt werden muss. Dabei bedeutet der Aufenthalt auf einer Intensivstation nicht unbedingt, dass ein bedrohlicher Zustand vorliegt oder der Patienten zwangsläufig in eine Langzeitnarkose (häufig als künstliches Koma bezeichnet) gelegt wird. In großen Krankenhäusern wird oft zwischen einer Überwachungsstation und einer Intensivstation unterschieden. In kleineren Häusern der Grund- und Regelversorgung gibt es hierfür in der Regel nur eine Station, auf der Patienten mit relevanten Vorerkrankungen nach größeren Operationen aber auch akut schwer Erkrankte gleichermaßen überwacht werden.
Patienten werden hier so intensiv wie nötig versorgt. Dabei ist uns die menschliche Komponente sehr wichtig. Die gefürchteten medizinischen Geräte sind eine verlässliche Unterstützung für unser Team, damit jedes Vitalzeichen stetig überwacht wird und jede Medikation so sicher und präzise wie möglich abläuft. Monitore, Schläuche und Kabel sind also wichtige Helfer im Genesungsprozess, vor denen man keine Angst zu haben braucht.
Dennoch ist uns bewusst, dass man diese Maßnahmen oft als befremdlich empfindet. Deshalb versuchen wir Patienten so früh wie möglich wieder in ein normales Umfeld zu verlegen.“
Warum spielen moderne Technik und Digitalisierung insbesondere auf der Intensivstation eine große Rolle?
„Die Technik hilft uns, Körperfunktionen zu erfassen, die wir mit unseren 5 Sinnen nicht permanent messen können. Damit bleibt auch uns mehr Menschlichkeit, denn: jeder Schritt, der automatisiert oder digital abläuft, verschafft Ärzten sowie Pflegekräften Zeit. Diese Zeit ist an manchen Stellen der Versorgung für den Patienten besser investiert als an anderen.
Als Beispiel: Unser Haus hat den seltenen Vorteil ein digitales Patientendaten-Managementsystem, sogar eines der modernsten auf dem Markt zu besitzen. Dieses kümmert sich darum, dass jeder Behandlungsschritt am Patienten, jedes verabreichte Medikament, jede Einstellungsänderung an medizinischen Geräten im Detail dokumentiert wird. Zusätzlich zeichnet es in regelmäßigen Abständen ein Bild des Gesundheitszustands des Patienten durch stetige Messung von Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Herzschlag und vielem mehr. Das vermeidet menschliche Fehlerquellen und steigert damit die Sicherheit des Patienten, denn eine falsche Dosierung eines Medikaments oder eine fehlerhafte oder unvollständige Notiz von Behandlungsschritten lösen unmittelbar eine Warnung im Computer aus.
Auch lassen sich durch die so gesammelten Daten Therapien analysieren und verbessern. Das hat uns bereits in der Pandemie mit Blick auf die Beatmung von Covid-Patienten sehr geholfen.“
Regelmäßig leiden Patienten, die intensivmedizinisch betreut werden müssen, an lebensbedrohlichen Verletzungen oder Erkrankungen. In solchen Fällen können Patienten häufig ihren eigenen Willen nicht mehr ausdrücken. Viele Menschen haben davor Angst. Was raten Sie für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit vorsorglich an?
„Vorneweg gilt: Der Wille des Patienten hat stets und bei jeder Behandlung Priorität. Dafür muss der Wille des Patienten natürlich bekannt sein. Wichtig ist hier die Vorsorge. Meine Kollegen und ich raten frühzeitig eine Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht bzw. eine Betreuungsverfügung zu erstellen. Diese kann man übrigens unkompliziert auch zu Hause schreiben. Notariellen Beistand braucht man dafür nicht.
Die umfangreichen Möglichkeiten der modernen Medizin sind so vielseitig wie die individuellen Wertevorstellungen. Daher ist es sinnvoll, dass Patienten vorsorglich für den möglichen Eintritt der Einwilligungsunfähigkeit festhalten, welche Behandlung sie in welcher Situation wünschen oder ablehnen – oder es eben vertrauten Personen erklären.“
Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung? Was empfehlen Sie?
„Das eine schließt das andere nicht aus. Um auf möglichst viele verschiedene Situationen vorbereitet zu sein, sollten Patienten beide Wege miteinander kombinieren, denn: Patientenverfügungen enthalten Angaben dazu, welche medizinischen Maßnahmen der Patient für bestimmte Konstellationen vorsieht. Naturgemäß ist es schwierig, sämtliche mögliche Umstände im Vorfeld zu regeln. Eine Vertrauensperson, die als Stellvertreter entscheidet, sichert als Zusatz bestmöglich den Patientenwillen ab.“
Gibt es Langzeitfolgen, die durch die intensivmedizinische Behandlung entstehen?
„Ziel der intensivmedizinischen Behandlung ist es, dass ein für den Genesungsprozess des Patienten bestmögliches Ergebnis erreicht wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass Patienten nach einer Behandlung auf der Intensivstation wieder vollkommen fit und gesund sind. Je nachdem, wie schwer die Erkrankung oder Verletzung war und wie umfassend und lang Körperfunktionen maschinell unterstützt werden mussten, sind die Folgen noch lange spürbar.
Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Corona-Patienten, die viele Stunden invasiv beatmet wurden, müssen mühsam von der Organunterstützung entwöhnt werden. Die Lunge ist geschwächt und muss erst lernen, wieder selbstständig zu arbeiten.
Nach einem Aufenthalt auf einer Intensivstation ist daher regelmäßig eine Anschlussversorgung nötig.“
Im Fall der invasiven Beatmung ist der Patient nicht bei Bewusstsein. Sind Besuche von Angehörigen trotzdem sinnvoll?
„Ziel moderner Sedierungskonzepte ist es nicht, den Patienten in tiefer Narkose zu halten, sondern Angst und Schmerzen zu nehmen. Die meisten Patienten sind daher nur leicht sediert und nehmen ihr Umfeld durchaus wahr. Die Anwesenheit von vertrauten Menschen unterstützt den Genesungsprozess. Das gilt auch für den Fall, dass der Patient nicht bei Bewusstsein ist. Es gibt viele Studien, die medizinisch messbare Erfolge wie einen beruhigten Herzschlag oder sinkenden Blutdruck belegt haben. Auch tiefer sediert können Patienten wahrscheinlich unterbewusst sogar Berührungen und Stimmen wahrnehmen.“